Kaninchenbesuche bei demenziell erkrankten Menschen
von Wolfgang Scharmann
Mit steigender Lebenserwartung nimmt auch die Zahl der demenziell Erkrankten in Senioren- und Pflegheimen zu. Ein großer Teil dieser Menschen ist nur noch teilweise oder gar nicht mehr in der Lage, mit den Angehörigen oder dem Pflegepersonal zu kommunizieren. Aber Demenzkranke behalten die Fähigkeit, Gefühle zu empfinden und zu äußern, und die Erfahrung zeigt, dass Tiere auf dieser Ebene oft noch einen Zugang zu den Kranken finden.
Auch wenn Tiere menschliche Beziehungen nicht ersetzen können, so vermag doch der Kontakt zu ihnen emotionale Ansprache und Abwechslung in das ereignislose Leben der Heimbewohner zu bringen.
Zum Arbeitsbereich unseres Vereins gehört neben der Organisation von Hundebesuchen auch die Verantwortung für Tiergehege („Streichelzoos“) in den Gartenanlagen von Pflegeheimen.
Da nur wenige Heimbewohner die dort befindlichen Zwergesel, Schafe und Ziegen besuchen können, begannen wir vor fünf Jahren auch mit der Zucht und Haltung von Kaninchen und Meerschweinchen, um mit diesen Tieren auch jene Senioren erreichen zu können, die gehbehindert oder sogar bettlägerig sind.
Kaninchen und Meerschweinchen eignen sich vorzüglich für derartige Besuche, wenn sie von klein auf, d.h. ab der zweiten und dritten Lebenswoche an die Berührung mit der menschlichen Hand, das Aufnehmen und Tragen gewöhnt werden.
Die Besuche, die vor allem von ehrenamtlichen Helfern durchgeführt werden, finden meist täglich in den verschiedenen Pflegestationen der Heime statt. Um die Tiere nicht zu stark zu beanspruchen, werden sie in der Regel nur zwei- bis dreimal in der Woche eingesetzt, was die Haltung von bis zu 20 Kaninchen und 10 Meerschweinchen erforderlich macht.
Es werden Gruppen- und Einzelbesuche angeboten.
Bei den Gruppenbesuchen sitzen die Kranken um einen Tisch versammelt, auf den mehrere Kaninchen und Meerschweinchen herumlaufen. Je nach Grad der Demenz und je nach Tagesform sind die Heimbewohner unterschiedlich ansprechbar. Anfangs zurückhaltende Bewohner werden von den Helfern ermuntert, die Tiere zu streicheln – führen auch manchmal ihre Hand oder setzen ein Kaninchen auf den Schoß – und achten darauf, dass nicht zu fest zugefasst wird. Sie weisen auf die lebhaften Bewegungen der Kaninchen und Meerschweinchen hin und helfen beim Füttern mit Salatblättern. Auch bei Demenzkranken, die ganz in sich versunken leben, kann manchmal Interesse an den Tieren geweckt und ein Lächeln auf dem Gesicht hervorgelockt werden.
Am ehesten lassen sich Menschen ansprechen, die früher Tiere besaßen. Damit werden Erinnerungen an vergangene Ereignisse geweckt und geäußert. Die Betreuer haben dann die Möglichkeit, Fragen zu stellen, so dass manchmal auch kleine Gespräche zustande kommen, an die sonst nicht zu denken war und die das Pflegepersonal dann in Erstaunen versetzen.
Lassen wir nun die ehrenamtlichen Helfer aus ihrem Tagebuch berichten:
„Frau G., die unermüdlich mit ihrem Rollstuhl unterwegs war, hielt inne, als ich ihr das Kaninchen auf den Schoß setzte. Sie streichelte sein weiches Fell und wunderte sich immer wieder darüber, dass das Tier so schön ruhig sitzen blieb und nicht hinunter sprang.“
„Frau S. wirkte heute sehr niedergeschlagen. Ich setzte ihr das Kaninchen „Josefine“ auf den Schoß, und sie streichelte es, sprach mit ihm und bewunderte seine hübschen Schlappohren.“
„Frau K. war traurig und weinte leise. Sie schaffte es dann glücklicherweise doch, auf „Angelo“ einzugehen und lächelte und lockte das Tier zu sich hin“.
„Frau H. wiegte „Josefine“ zärtlich in ihren Armen. Sie war gut aufgelegt und erzählte viel. Ich berichtete von unseren Tieren im Gehege und sie steuerte ein paar Sätze bei.“
Die Pflegekräfte der von uns besuchten Heime schätzen die Kaninchenstunden sehr, nicht zuletzt auch deshalb, weil den Kranken damit zusätzliche Ansprache und Zuwendung zuteil wird, für die das Personal oft zu wenig Zeit aufbringen kann..
Auch wenn die Tiere ihre wohltuende Wirkung nur während ihrer Anwesenheit ausüben und somit keine anhaltende Besserung des Befindens zu erwarten ist, bringen die Besuche den Demenzkranken zumindest Abwechslung und eine Bereicherung ihrer Lebensqualität. So spricht alles dafür, die tierischen Helfer noch stärker in die Pflege und Therapie demenziell Erkrankter einzubeziehen als dies bisher der Fall ist.
Dr. Wolfgang Scharmann
(Verein „Leben mit Tieren e.V., Berlin)
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